Donnerstag, 29. November 2007

*hust*

Erstmal den Staub von meinem Blog gewischt. Der liegt da nun ja schon ein Weilchen...
Aber diesmal muss ich gar nicht jammern - das tu ich eh viel zu oft. Es gibt nicht zu wenig zu erzählen, sondern vielleicht mal zuviel.
Das nächste Jahr ist das Jahr, in dem ich 30 werde. Was hatte ich eine Angst davor die ganzen letzten Jahre. Angst davor, dass ich Billanz ziehe und mit dem, was unterm Strich rauskommt nicht zufrieden bin. Der Gedanke hat sich in mein Hirn eingefräst.
Ich weiß auch noch, wann das war. In meiner arbeitslosen Zeit, der großen Depression. Und deshalb fühle ich mich gewillt, einen zutiefst erschütternden literarischen Versuch aus der damaligen Zeit zu veröffentlichen - wie immer bei mir nur ein Fragment. Es ist an der Zeit, sich über sich selbst lustig zu machen.
Also, here it comes. Geschrieben kurz nach Silvester vor 2 Jahren.

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Mir fehlt Schlaf.
Vielleicht ist das ja des Rätsels Lösung. Warum geht es dir denn so mies – und das schon seit Tagen? Oh, ich glaube, mir fehlt einfach Schlaf. Nichts weiter. Mach dir keine Sorgen.
Dann schlaf doch. Lass die Rollläden runter und hau dich aufs Ohr für ein paar Stündchen. Auch wenn sich die Welt dann ohne dich weiterdreht. Dir kann’s doch egal sein. Hast doch eh nichts Besseres zu tun.
Tatsache. Und der Grund, warum Schlafmangel nicht der Grund allen Übels sein kann, sondern nur ein weiteres Symptom in der Symphonie meines persönlichen Elends. Für mich gibt es nichts Besseres zu tun, als sich die Bettdecke über den Kopf zu ziehen und mit dem Denken aufzuhören.

Alles um mich herum ist gerade dabei, munter die Standards für das zukünftige Leben festzulegen. Das Rezept hört sich so einfach an. Man nehme: einen Job, einen zukünftigen Ehepartner, eine Hochzeit, ein Haus, ein Kind. Immer fein eine Zutat nach der anderen in den großen Becher des eigenen Daseins füllen – ein imaginärer Schichtsalat des Lebens.
Kindchen, mit der Wahl des Bechers müsstest du nun aber langsam durch sein. Aber ehrlich. Du hattest ja schließlich genug Zeit, dir eine Zukunft auszudenken – in der Wiege, im Kindergarten, der Schule und auf der Universität. Jetzt muss sie aber gemacht werden, hörst du?! Frisch ans Werk und keine Müdigkeit vorgetäuscht! Dornröschenschlaf endgültig vorbei, Schätzchen!

Mir fehlt Schlaf.
Ich sitze abends vor dem Fernseher, wie ich auch schon vormittags und nachmittags vor dem Fernseher sitze. Nur abends habe ich dazu noch ein Glas Rotwein in der Hand. Eine Flasche. Und trotzdem komme ich nicht zur Ruhe.

Jetzt mach mich doch nicht fertig – ich habe doch meinen Becher schon längst. Schau! Wunderschön. Selbst zurechtgetöpfert aus Hoffnungen und Träumen. Und mit Talent, findest du nicht auch? Meiner Meinung nach steckt da viel Kreativität drin. Gib mir etwas zum Reinfüllen!
So kann das nichts werden mit der Zukunft, Kleines. Dein Becher hat keinen Boden. Du hast dir einen bodenlosen Becher getöpfert. Und dafür hast du so lange gebraucht? Für dieses Teil da? Von außen mag es ja ganz hübsch aussehen. Innovativ sogar. Aber er wird nicht halten – nicht ohne Boden. Das wird alles zusammenfallen zu einem Klumpen Ton oder sonst was. Nimm doch meinen Becher.
Bleib mir doch vom Hals mit deiner Fabrikware! Mein Becher hat sehr wohl einen Boden. Du kannst ihn nur nicht sehen. Manchmal seh ich ihn ja kaum. Aber er ist da. Ich weiß, dass er da ist. Gib mir einen Job zum Reinfüllen – mehr verlang ich ja gar nicht. Dann wirst du sehen, dass da ein Boden ist. Dass die unterste Schicht im Becher bleibt. Aber schnell muss es gehen. Da unten kleben nämlich schon ein akademischer Grad und diverse Praktika und Nebentätigkeiten. Die könnten mir verderben, wenn da nicht bald was Frisches draufkommt. Und dann kann ich den Schichtsalat wegwerfen, noch bevor ich ihn überhaupt fertig stellen konnte. Und meinen Becher gleich mit. Das bringe ich nicht über mich!

Silvester oder Wer macht den besten Schichtsalat?
Um halb neun sind die Gäste geladen.
Das ist für Silvester die perfekte Zeit. Nicht zu spät, um noch was richtig Gehaltvolles zu essen und sich so die Grundlage für die folgende Sektnipperei zu schaffen. Aber auch nicht so früh, dass man schon vor zwölf angödet und besoffen in einer Ecke hockt und das unvermeidliche Ende des ach so rauschenden Festes herbeisehnt. Halb neun ist die genau richtige Zeit!
Die ersten Gäste kommen um viertel vor acht. „Können wir noch was helfen?“
Ist das nicht ein nettes Pärchen? Kommen zu früh, um den gestressten Gastgebern zur Hand zu gehen. Und sie haben den Salat mitgebracht, um den wir sie zwecks Arbeitsteilung gebeten haben – das Dressing in einem Extraschälchen, damit da bloß nichts labbrig wird. Wie sich das gehört. „Wie lieb von euch.“ Nein. Es gibt nichts zu helfen. Eigentlich ist alles schon vorbereitet. Alles fertig – bis auf mich. „Legt doch die Jacken ab und setzt euch? Wollt ihr was trinken? Bier? Wein? Cola?“ Händeringend und ungeduscht versuche ich mich um das leibliche Wohl der Zufrühkommer zu kümmern, schmeiße schon mal gleich ein Glas kaputt, während ich mich kontinuierlich für meinen unansehnlichen Zustand entschuldige. „Aber mein Freund ist noch im Bad…“
Kurze Zeit später werde ich in Sachen Gästebetreuung von dem Guten abgeklatscht, der endlich, frisch und nach Duschgel duftend, aus dem Bad kommt. Jetzt kann ich mich endlich auch in anständige Klamotten schmeißen und mich sonst noch aufbrezeln, obwohl das jetzt ja wohl kaum noch Sinn macht, weil mich die Zufrühkommer ja schon mit Jogginghosen und fettigen Haaren gesehen haben. Gut, es kommen schließlich noch mehr Gäste. Aber die Zufrühkommer könnten eventuell petzen. Den anderen unter vorgehaltener Hand verraten, wie schrecklich ich doch ausgesehen habe. Wie ich mich gehen lasse. Wie schlecht mir die Arbeitslosigkeit und all das bekommt. Mein erster Schminkversuch misslingt und ich seh aus wie eine Fledermaus. Also wisch ich das alles nochmal runter und fang von vorne an. Das entfernte Fledermaus-MakeUp hinterlässt dunkle Schatten um die Augen. Das bessert meine Stimmung, weil ich dadurch geheimnisvoller aussehe. Zu Weihnachten hab ich Parfum gekriegt, das nach Vanille duftet und nach Veilchen und außerdem noch Hypnose heißt. Das sprüh ich mir über und werde dadurch noch geheimnisvoller und besser gelaunt. Lieber wandelndes Geheimnis als wandelndes Elend.
Zumindest äußerlich bin ich jetzt ein neuer Mensch und kann beruhigt das Bad verlassen. Es ist kurz nach halb neun, aber außer den Zufrühkommern, die im Wohnzimmer sitzen und jeweils eine Cola trinken, weil sie sich noch nicht ganz darüber einigen konnten, wer von beiden nun der Fahrer ist, sind noch keine weiteren Gäste erschienen. Der weibliche Part der Zufrühkommer drückt mir eine Rolle Luftschlangen in die Hand, die die beiden mitgebracht haben, und wir machen uns daran, unser tristes Wohnzimmer silversterlich zu verzieren. Lustige Tröten haben sie auch dabei. Solche Dinge können unter Umständen meinen Tag retten, also bin ich mal ausnahmsweise glücklich. Solange, bis der männliche Zufrühkommer wieder mit dem Haus anfängt…
Die Zufrühkommer haben nämlich im vergangenen Sommer geheiratet. Eine Bilderbuch-Hochzeit ist das gewesen, mit schnuckeliger Dorfkirche, cremefarbener Blumendekoration und diversen Tränen. „Das wurde auch Zeit“, haben alle zu den beiden gesagt, weil sie jetzt schon seit acht Jahren zusammen sind. Und weil sie schon so lange zusammen wohnen. Und weil beide Jobs mit geregeltem Einkommen haben. Warum also nicht? Der nächste Schritt war die Hochzeit – ganz klar. Und was kommt danach? Das Haus natürlich. Sollten sie lieber Bauen oder renovieren? Und wie wäre es mit einem Fertighaus? Einer Doppelhaushälfte? Wie viele Quadratmeter müssen sein, sollten sein, können sein? Und wie hoch ist der bewilligte Kredit von der Bank? Fragen über Fragen – die man am besten mit seinen Freunden diskutiert. Am besten mit denen, die gerade keinen Job haben.
Mein Freund ist wie immer voll in seinem Element, wenn es um Häuser geht. Muss an seinem Studium liegen. Ob sie schon mit dem Architekten gesprochen hätten, will er wissen. Ja? Und was hat er gesagt? Nein! Das gibt’s doch nicht!
Das gibt es wirklich nicht. Es heißt doch immer: Hier sind die Immobilienpreise im Keller. Und die Grundstückspreise auch. Jetzt muss man bauen, kaufen. Eigenheim als Geldanlage. Noch dazu kommt, dass die Zufrühkommer tatsächlich ganz hervorragend gewirtschaftet haben. Sie haben sich nicht lang durch ein Studium aufhalten lassen, sondern nach der Schule eine Ausbildung gemacht. Und jetzt haben sie schon 60.000 Euro gespart. Als Rücklage. Damit müsste doch was zu machen sein! Und trotzdem sieht es so aus, also wäre mehr nicht drin als eine Doppelhaushälfte am Stadtrand. Ansonsten kommen sie an ihre „Kotzgrenze“, wie sie es treffend nennen, was die monatlichen Raten angeht.
Ich höre zu und komme viel schneller an meine Kotzgrenze, als alle anderen Anwesenden ahnen. Nicht, dass ich die Problematik nicht nachvollziehen könnte. Nein, ich versteh schon. Vielleicht versteh ich zu gut. Die Zufrühkommer arbeiten nun beiden schon seit sagen wir mal knapp zehn Jahren. Ihre Ersparnisse sind beträchtlich – alle Achtung und Hut ab. Und trotzdem: nur Probleme! Was soll denn ich da sagen? Ja, sicher – wow - ich bin eine Akademikerin und mir stünde quasi ein Gehalt in doppelter Höhe zu, wenn man mich denn nur mal arbeiten ließe. Aber seien wir mal realistisch: Geisteswissenschaftler bekommen heute nur noch in den seltensten Fällen angemessene Gehälter, angemessene Jobs – überhaupt Jobs. Wie soll ich denn jemals die Zufrühkommer einholen? Ja klar, ich bin mit einem Ingenieur zusammen. Sicherlich wird zumindest der mal gut verdienen. Zumindest im Moment läuft alles nach Plan. Aber was ist, wenn ich gar nichts kriege? Wie lange will er mich denn durchfüttern? Und wieder habe ich dieses erschreckende Szenario im Kopf, welches mein grandioses Hirntheater täglich allein für mich aufführt: Nichts wird so laufen, wie ich mir das vorgestellt habe! Ich werde keinen Job finden, der mir gefällt. Vielleicht werde ich gar keinen finden oder einen miesen, einen schlecht bezahlten, einen öden oder unerträglichen. Es ist egal, denn das alles bedeutet: Ich kriege mein Leben nicht geregelt! Und ich kann und will nicht heiraten, bis das nicht passiert ist. Und schon gar kein Kind bekommen. Dabei hätte ich gern eins bevor ich 35 bin. Und ein Haus können wir ja wohl gleich vergessen. Vielleicht wenn wir 50 sind. Vielleicht reicht dann das Geld? Wenn ich Putzen gehe oder Kellnern?
Aber die schlimmste aller Fragen ist diese: Wann bitte wurde all das so wichtig? Eben noch war ich auf der Uni, hatte Träume und Energie und Freunde, konnte mich mit fast jedem über fast alles unterhalten – und plötzlich: Was machst du so? Denkt ihr ans heiraten? Können wir uns das leisten? Warum hast du die Bewerbung nicht schon längst weggeschickt? Was wird aus deiner Krankenversicherung? WOZU BIST DU ÜBERHAUPT AUF DER WELT, verdammt nochmal?
Ich flüchte zurück ins Badezimmer und hoffe dringlichst auf die Ankunft der nächsten Gäste. Der mit dem Wodka, wo bleibt der denn nur? Ich schaue in den Spiegel und finde die Schatten um meine Augen gar nicht mehr schön und geheimnisvoll. Müde seh ich damit aus. Also versuche ich sie mit Abdeckstift zu überpinseln. Es gelingt mir – na ja – einigermaßen. Weil es immer noch nicht geklingelt hat, setzte ich mich erstmal auf den Rand der Badewanne und versuche, meinen Kopf zu entleeren. Ich kann nicht wirklich erklären, wie ich das mache – vielleicht hat es Ähnlichkeit mit einer Meditation, nur dass es nichts mit Entspannung und so zu tun hat. Ich versuche vielmehr, all die Dinge, die immer wieder meine Depressionen auslösen, ganz schnell zu denken und es so hinter mich zu bringen. Es ist ja immer dasselbe: Kein Job, kein Selbstvertrauen, kein Talent, kein Sinn. Ich überliste meinen Verstand, indem ich ihm vorgebe, mich nun ausführlichst mit dem Sinn meiner Existenz zu beschäftigen, dabei mache ich es einfach nur gehäuft. Und dann tut mir irgendwann der Kopf weh und ich kann die einzelnen Gedanken nicht mehr voneinander trennen und dann ist nur noch ein Gedanke da: Elend. Ja. Genau. Und an diesem Punkt erübrigt sich weiteres Nachdenken, weil die einzelnen Fragen verschwinden, die einzelnen Kränkungen und Schmerzen und alles zu einer Art Weltschmerz wird, der zwar nicht besser ist als der Wust böser Gedanken, aber immerhin gezielt und erprobterweise erfolgreich von mir vor anderen verborgen werden kann. Ich schlucke eine Aspirin und fühle mich fast schon wieder bereit, ins Wohnzimmer und zu den im Leben Erfolgreicheren zurückzukehren, spüle aber zunächst noch als Ausdruck meines Elends sie grüne Luftschlange, die mir seit der Dekoration des Wohnzimmer um den Hals lag, in der Kloschüssel hinunter.

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Himmel, ging's mir da mies! Erinnert mich bitte daran, wenn ich das nächste Mal wegen der Arbeit und allem schimpfe!
Warum, fragt ihr euch jetzt, müsst ihr so etwas Kitschig-Intimes aus meiner Feder lesen? Tja, weil ich gerade munter dabei bin, mir meinen Schichtsalat rezeptfrei zusammenzuzimmern. In meinem Becher, der wohl einen Boden hat und schon immer hatte. Und im Moment hab ich so im Gefühl, dass er mir schmecken wird.

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DieKäthe - 11. Aug, 08:00
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DieKäthe - 10. Aug, 14:17

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